Geschichte und Funktion Großer Koalitionen in der Bundesrepublik.

Überblick


Laufzeit:
01. Januar 2009 - 31. Januar 2013

Forschungsteam:
Prof. Dr. Lothar Probst (Projektleitung)

Details


Bis heute hat sich dabei in der Öffentlichkeit der Eindruck festgesetzt, Große Koalitionen habe es in
der Geschichte der Bundesrepublik eigentlich nur in wenigen Ausnahmesituationen gegeben. Auch in
politikwissenschaftlichen Koalitionstheorien werden Große Koalitionen meistens als Sonderfall betrachtet.Tatsächlich hat es aber schon in den frühen Jahren der Bundesrepublik bis weit in die 1970er Jahre gerade auf Landesebene häufiger Große Koalitionen gegeben, als gemeinhin angenommen wird (u.a. in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz). In den Blickpunkt geriet dieses Modell aber erst durch die Große Koalition auf Bundesebene zwischen 1966 und 1969.

Seit der Deutschen Einheit sind in den ostdeutschen Bundesländern aufgrund der Sonderstellung der
PDS (bzw. jetzt der Partei DIE LINKE) Große Koalitionen sogar öfter geschlossen worden als andere Koalitionen (in den 1990er Jahren u.a. in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) da Bündnisse mit der PDS zunächst entweder ausgeschlossen oder später nicht immer opportun waren. Aber auch nach der Formierung der ersten SPD-PDS-Regierung 1998 in Mecklenburg-Vorpommern blieben Große Koalitionen in den ostdeutschen Bundesländern aufgrund der jeweiligen politischen Konstellation eine der bevorzugten Koalitionsoptionen. So wird Brandenburg seit 1999, Sachsen seit 2004 und Sachsen-Anhalt seit 2006 von einer Großen Koalition geführt. Die Ausdifferenzierung des Parteiensystems hat aber auch in den alten Bundesländern seit Anfang der 1990er Jahre vereinzelt Große Koalitionen erzwungen. Nachdem die rechtspopulistischen Republikaner 1992 – neben FPD und Grünen – mit 10,9 Prozent den Einzug in den Landtag von Baden-Württemberg schafften, gingen CDU und SPD ein temporäres Regierungsbündnis ein, da eine andere parlamentarische Mehrheitsbildung politisch nicht möglich war. Das Bundesland Bremen, eher eine Ausnahmeerscheinung wurde sogar von 1995 bis 2007 von einer Großen Koalition regiert.

Der Begriff „Große Koalition“ bildet allerdings heute nur noch teilweise das ab, was ursprünglich damit assoziiert wurde – ein Bündnis der beiden großen Volksparteien, welches über eine erdrückende Mehrheit verfügt und die Opposition automatisch in eine marginale Rolle drängt. Während die Große Koalition im Bund zwischen 1966 und 1969 tatsächlich noch mit 468 von 518 Sitzen über eine erdrückende Mehrheit im Bundestag verfügte, müssen sich heute Große Koalitionen zum Teil mit bescheidenen Mehrheiten zufrieden geben. Aufgrund der nachlassenden Integrationskraft von CDU und SPD und aufgrund der Sonderstellung der PDS bzw. DER LINKEN in den ostdeutschen Bundesländern sind dort Große Koalitionen teilweise zu mittelgroßen Koalitionen geschrumpft. In Sachsen verfügen CDU und SPD zusammen gerade noch über 68 von 124 Sitzen in einem Parlament mit sechs Parteien, und in Brandenburg bringt es die Große Koalition zusammen auf 53 von 88 Mandaten.

Der kurze Überblick über die Geschichte Großer Koalitionen zeigt bereits, dass diese – als Ausnahmeerscheinung geltende Koalitionsform – durchaus eine wichtige Funktion im Parteiensystem der Bundesrepublik einnehmen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Interaktionsbeziehungen zwischen den beiden großen Volksparteien und beeinflussen zugleich das gesamte Parteiengefüge. Ganz davon abgesehen, haben sie erhebliche Auswirkungen auf die Politikgestaltung in der Bundesrepublik. Gleichwohl sind Große Koalitionen in der politikwissenschaftlichen Forschung lange Zeit vernachlässigt worden. So spielt selbst die erste Große Koalition auf Bundesebene, obwohl sie einen erheblichen Einschnitt in der Geschichte des Parlamentarismus der Nachkriegszeit darstellte, in der politikwissenschaftlichen Literatur eine vergleichsweise geringe Rolle.1 Nicht zufällig heißt eines der Bücher, welches erst 1991 erschien: „Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966-1969“. Erst seit dem sich nach der Bundestagswahl 2005 zum zweiten Mal eine Große Koalition auf Bundesebene etabliert hat, gerät dieses Modell stärker in den Fokus der politikwissenschaftlichen Forschung. Es besteht jedoch im Hinblick auf die Funktion und Wirkung Großer Koalitionen im Parteiensystem der Bundesrepublik nach wie vor erheblicher Forschungsbedarf. Das auf mehrere Jahre angelegte Forschungsprojekt versteht sich in diesem Sinne als ein Beitrag zur Untersuchung der Geschichte und Funktion Großer Koalitionen in der Bundesrepublik. Dabei wird allerdings weniger eine Untersuchung der Regierungspolitik in verschiedenen Politikfeldern im Fokus stehen, als vielmehr die Frage, wie Große Koalitionen in verschiedenen Phasen der Geschichte der Bundesrepublik das Parteiensystem (u.a. Parteienwettbewerb, Interaktionen zwischen Bundes- und Landesebene, Strategiebildungsprozesse) beeinflusst und geformt haben. Die Untersuchung erfolgt vorrangig deskriptiv-analytisch auf der historischen Zeitachse und wird bestimmte Periodisierungen vornehmen. Gleichzeitig werden auf der Basis der Parteiensystemforschung Indikatoren entwickelt, mit deren Hilfe die Auswirkungen Großer Koalitionen auf das gesamte Parteiensystem „gemessen“ werden.

1Die Zahl der politikwissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Bücher, die sich mit der Großen Koalition von 1966 bis 1969 befassen, ist sehr übersichtlich. Noch zur Zeit der ersten Großen Koalition erschienen u.a.: Wilhelm Hennis, Große Koalition ohne Ende?, München 1968; Franz Schneider, Große Koalition – Ende oder Neubeginn?, München 1969; Alois Rummel (Red.), Die Große Koalition 1966-1969. Eine kritische Bestandsaufnahme, Freudenstadt 1969; später u.a.: Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition. 1963-1969, Stuttgart-Wiesbaden 1984; Reinhard Schmoeckel/Bruno Kaiser, Die vergessene Regierung. Die große Koalition 1966-1969, Bonn 1991; Klaus Schönhöven, Wendejahre. Die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition, Bonn 2004.


Laufzeit:
01. Januar 2009 - 31. Januar 2013

Forschungsteam:
Prof. Dr. Lothar Probst (Projektleitung)

Projekttyp:
Eigenprojekt

Publikationen


Zeitschriftenbeiträge referiert

Probst, Lothar, 2006: Große Koalitionen als Sanierungsmodell? Erfahrungen aus Bremen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 37 (3)